Elbtunnel-Syndrom!                                                                                        4.02.07

 

Wie so häufig in den letzten Jahren, wurde durch Bauarbeiten im Hamburger Elbtunnel der Verkehrsfluß erheblich beeinträchtigt. Wenn dann noch Ferienbeginn war, ein heißes Wochenende vorausgesagt wurde und eine Massenveranstaltung wie z.B. ein Openair Rockkonzert stattfand, dann war auf beiden Seiten des Tunnels Chaos angesagt.

 

Ich kam vom Laverdatreffen in Silberstedt und fuhr in Richtung Süden. Mindestens zehn Kilometer vor der Elbunterführung staute sich der Verkehr schon auf allen Fahrspuren. Da hatte ich aber noch die Zuversicht, langsam aber stetig voran zu kommen. Die Laverda 750 SFC ist schmal und die Fahrbahnen sind breit genug, um zwischen den Fahrzeugkolonnen im Schritttempo durchzufahren. Endlose Kilometer tastete ich mich, mit schleifender Kupplung, schmerzenden Handgelenken und spuckendem Motor von Fahrzeug zu Fahrzeug. Viele Reisebusse ließen manchmal keinen Platz, so daß ich gezwungen war dahinter zu bleiben. Die glühende Mittagssonne wurde ungebremst von meiner schwarzen Tarn-Lederkombi aufgesogen und die aufsteigende Wärme des heißen Twins, sorgte für backofenähnliche Zustände der im Schatten befindlichen Lederflächen. Einige Male schaltete ich die Zündung aus, weil ich das Gefühl hatte, der luftgekühlte Motor würde jeden Moment platzen. Doch er sprang immer schlechter wieder an, wenn sich eine Lücke auftat und ich paar Meter gut machen wollte. Bis ein genervter Familienvater wieder mal einen kleinen Schlenker nach rechts zog und ich stoppen musste. Zum Glück dachten und fühlten die meisten Autofahrer mit.

Der Druckpunkt der Kupplung wurde immer schwammiger. Die Schmerzen im linken Handgelenk, verursacht durch die extrem schwergängige Betätigung, waren kaum auszuhalten und außerdem saß mir die Jubiläumsfeier am Vorabend noch in den Knochen. Ich schwitzte wie in der Sauna, mir war schlecht und ich wollte nur noch  nach Hause.

Die Tunneleinfahrt war noch ca. einen Kilometer entfernt. Ich befand mich auf der linken Fahrbahn, welche seit längerer Zeit mit seitlicher Begrenzung durch eine Baustelle führte. Ein Spurwechsel war nicht möglich. Es gab keinen Seitenstreifen zum Anhalten und keine Chance vorbei zu fahren, um vielleicht etwas Fahrt aufzunehmen, damit der mittlerweile glühende Zweizylinder ein bisschen Wärme abgeben konnte. Nur mit Gasstößen war der Motor am Leben zu erhalten. Er spuckte und sprotzte, weil der Sprit in den Schwimmerkammern sicherlich kurz vor dem Siedepunkt war.

Es trat ein, was ich befürchtete. Der Motor warf das Handtuch! Er ließ sich auch nicht mehr starten. Und das unmittelbar vor dem Tunnel! Wo sollte ich hin? Es gab nur eine Richtung, nämlich rein in den Tunnel und damit in den Schatten.

Die Fahrzeuge vor mir nahmen Fahrt auf und entfernten sich zügig, nur ich paddelte mit beiden Beinen auf der leicht abschüssigen schmalen Fahrspur in den Tunnel. Die Gegenfahrbahn war voll und ich erhoffte, durch dessen Fahrwind eine schnelle Abkühlung der Laverda. Es gab keine Möglichkeit auf den rechten Randstreifen zu gelangen, also bemühte ich mich, das Motorrad am Rollen zu halten. Ein Startversuch zwischendurch blieb ohne Erfolg.

Direkt hinter mir schnaubte und zischte es, als wenn ein Kampfstier mit schabenden Hufen seinen Torero fixiert. In meinem Rückspiegel las ich in großen Buchstaben TREBRON. Leicht irritiert schaute ich über meine Schulter und sah NORBERT.

Jener war wohl der Fahrer eines Ungetüms von Lastwagens, der auf Tuchfühlung direkt hinter mir mit der Druckluftbremse zischte. Jedenfalls hupte er nicht, denn in Luft auflösen konnte ich mich kaum. In meine Fahrtrichtung war mittlerweile kein Fahrzeug mehr zu sehen. Ich fühlte förmlich die Augen der Tunnelaufsicht an den Monitoren, die mich mit den Überwachungskameras beobachteten und sicherlich schon die Sekunden runterzählten, bevor sie Maßnahmen eingeleitet hätten, dieses Hindernis zu entfernen.

Gut, das es die gebeutelten Urlauber hinter dem Lastwagen nicht sehen konnten, warum es stockte.

Ich konnte nicht mehr warten, der nächste Startversuch musste klappen. Norbert hinter mir zischte immer drohender und rückte immer näher an mein Kennzeichen. Ich gab der Laverda etwas Schwung und drehte beide Benzinhähne auf Reserve, um etwas mehr Durchlauf zu bekommen. Ich schaltete die Zündung ein, schickte ein Stoßgebet gegen den Betonhimmel  

und drückte den Starterknopf. Der Anlasser drehte. Einundzwanzig, Zweiundzwanzig und dann folgten kurz nacheinander zwei laute Rohrkrepierer durch unverbrannte Gase in den Auspufftöpfen und das SFC-Triebwerk brüllte auf. Norbert hat sich später sicher über die beiden Brandzeichen an der Frontschürze seines Brummis gewundert.

Ja, so musste es sein! Ich trat den ersten Gang rein und mit einem anfänglichen Ruckeln hechtete die Laverda in den Tunnel. Den linken Daumen hochgestreckt und begleitet von einem infernalischen Staccato ließ ich das Gas bis 90km/h stehen. Der Widerhall im Tunnel war irre laut, aber in diesem Fall bestimmt auch für die Beobachter wie Musik. Ich wollte nur raus aus diese enge Röhre und schaltete mit der rechten Hacke die Gänge bis in den Fünften. Ich hatte die Fahrbahn für mich alleine! Mir ist nicht bekannt, ob danach der Fliesenleger bemüht werden musste, um einige Kacheln wieder fest zu kleben. Nach ca. 1,5 Kilometer sah ich Tageslicht  und der Tunnel hustete mich mit der Laverda, wie einen Fremdkörper mit Austrittsgeschwindigkeit  von fast  160km/h ins Freie.

Die Sonne fand ich plötzlich wieder herrlich, nachdem ich sie auf der anderen Seite der Elbe noch verflucht hatte.

 

Jan-Dieter Oeljeschläger